Wenn es kein Hagel war – Die Wahrheit hinter mysteriösen Schäden an Lichtbändern

Wenn es kein Hagel war – Die Wahrheit hinter mysteriösen Schäden an Lichtbändern

Wie ein vermeintlicher Hagelschaden zum Ausgangspunkt für eine tiefgehende Materialanalyse wurde – und was wir daraus für die Praxis lernen können.

In der Welt der Bauschadengutachter ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Das durfte ich erleben, als ich im Auftrag einer Versicherung einen angeblichen Hagelschaden an den Lichtbändern eines großen Gewerbedachs untersuchen sollte. Was zunächst wie ein klarer Versicherungsfall wirkte, entpuppte sich bei genauer Betrachtung als ganz anderes – und faszinierendes – Schadensbild.

Der erste Eindruck täuscht

Der Gebäudeeigentümer war sich sicher: Die zahlreichen Schäden auf den Polycarbonat-Stegplatten seines Tonnendachs mussten vom letzten Hagelsturm stammen. Doch bereits bei der Dachbegehung stellte ich fest: Die Schäden verteilten sich auffällig ungleichmäßig und traten vor allem auf der sonnenexponierten Südwestseite auf. Zudem passten die Form und Struktur der Beschädigungen nicht zum typischen Muster eines Hagelschlags.

Ein Blick unter die Oberfläche

Die ovale bis sichelartige Form der Ausbrüche, ihr Auftreten nur auf der äußeren Kammeroberfläche – ohne Beschädigungen an Stegen oder Unterseiten – und der Zusammenhang zur Sonneneinstrahlung machten schnell klar: Hier waren keine Eisgeschosse am Werk. Vielmehr sprach vieles für eine Kombination aus Materialalterung, thermischer Belastung und mechanischer Spannung durch die Randfixierungen.

Fachlicher Austausch bringt Licht ins Dunkel

Besonders wertvoll war in diesem Fall der Austausch mit meinem Kollegen Dipl.-Ing. Walter Holzapfel, einem erfahrenen öffentlich bestellten Sachverständigen für das Dachdeckerhandwerk. Er hatte bereits 2019 einen vergleichbaren Schadensfall untersucht und wissenschaftlich aufbereitet. Seine Prüfberichte und Materialanalysen belegten eindeutig: Hagel kann solche Schäden nicht verursachen – weder energetisch noch strukturell.

Die wahre Ursache: Alterung und Materialversprödung

Die Analyse zeigte, dass sich die Polycarbonatplatten durch jahrelange UV-Belastung, Weichmacherverlust und mechanische Dauerbelastung zersetzen. Die Folge: Spannungsrisse, die sich in typischen Sichelformen äußern – ein Phänomen, das auch aus dem Flachdachbereich (Stichwort „Shattering“) bekannt ist.

Besonders kritisch: Diese Schäden entstehen von innen heraus und sind nicht immer sofort sichtbar. Das macht sie für Eigentümer, Handwerker und Versicherer gleichermaßen tückisch – und erfordert beim Ortstermin fundiertes Fachwissen, um Fehldeutungen zu vermeiden.

Warum dieser Fall für die Praxis so wichtig ist

Solche Fälle zeigen eindrücklich, dass ein versicherter Hagelschaden nicht vorschnell angenommen werden sollte. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, die auch Alterung, Materialqualität, UV-Belastung und mechanische Einwirkungen berücksichtigt. Denn: Nicht jeder Schaden ist versichert – und nicht jeder Schaden ist sofort erkennbar.

Fazit:

Dieser Fall steht exemplarisch für viele Schadensbilder, bei denen die Ursache im Material selbst und seiner Belastungsgeschichte liegt – nicht im letzten Unwetter. Für Sachverständige, Handwerker und Versicherungen ergibt sich daraus der klare Auftrag, nicht nur das Offensichtliche zu prüfen, sondern auch die verborgenen Mechanismen zu verstehen. Und genau das ist es, was unsere tägliche Arbeit als Gutachter so spannend und relevant macht.

Autor:
Stefan Lange
Personenzertifizierter Sachverständiger für versicherte Sachschäden an Immobilien nach DIN ISO/IEC 17024
Inhaber der ILS-Bau-Consulting UG (haftungsbeschränkt)
www.baugutachter-lange.de

Co-Autor:
Dipl.-Ing. Walter Holzapfel
Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Dachdeckerhandwerk
www.holzapfel-sachverstaendiger.de

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